Dienstag, 9. Oktober 2018

Drei kleine Punkte

Liebes Leben,

seit ein paar Tagen schickst du mich durch eine Welle der Melancholie. Ich muss mich ganz schön durch sie hindurchkämpfen, denn sie ist dick und klebrig wie flüssiges Karamell. Nur nicht so süß. Ich kann nicht sehen, wo sie aufhört und das ist ziemlich grässlich...
Es begann mit diesem Gedanken, der mich irgendwann letzte Woche urplötzlich durchfuhr und seitdem nicht mehr weggegangen ist. Ich wälze ihn hin und her, wälze auch mich hin und her und denke in jeder Minute, in der ich alleine und nicht mit anderen Dingen beschäftigt bin, darüber nach. Liebes Leben, du bist oft extrem gut zu mir gewesen, hast mir viele großartige Menschen und Erlebnisse geschenkt und es mir zwar nicht immer ganz leicht, aber dennoch recht einfach gemacht. Im Gegenzug versuche auch ich gut mit dir umzugehen, schließlich bist du alles, was ich wirklich habe, "ohne dich bin ich nicht" (Joris, "Du"). Ich weiß nicht so genau, wie ich mit dieser süßen Folter umgehen soll, was genau ich tun soll, an wen ich mich wenden soll... Wie geht man damit um, wenn einem bewusst wird, dass sich manche Freundschaften ganz allmählich auflösen? Mein erster Gedanke war, nach dem Grund zu suchen und ihn zu beheben. Doch was, wenn die Gründe mannigfaltig sind und man sie nicht allein richten kann, sondern die andere Seite ihren Teil dazu beitragen muss? Denn so ist es ja in jeder Beziehung, es geht um zwei Menschen und deren UND, den Mittelteil, die Verbindung zwischen ihnen. Und was tut man, wenn man schon eine Weile das Gefühl hat, gegen das Vergessen werden anzukämpfen? Wenn man eigentlich schon länger erkannt hat, dass das UND langsam verblasst, wenn man seine schönste Rüstung herausgeholt & aufpoliert und gegen ein unsichtbares Monster anzukämpfen begonnen hat? Was tut man, wenn man das Gefühl hat, dass die andere Person bereits ihre Waffen niedergelegt und die weiße Fahne geschwungen hat? Was tut man dann, Leben?
Ich weiß es nicht... Aber ich habe manchmal das Gefühl, dass ich jetzt vielleicht in einer Zeit angekommen bin, in der es irgendwie zu erwarten ist, dass sich Freundschaften lösen, dass einige Menschen andere Prioritäten haben und ich und unser UND nicht mehr dazugehören bzw. an Priorität verlieren. Versteh mich nicht falsch, Leben, es ist völlig in Ordnung, dass Prioritäten sich ändern, das ganze Leben ändert sich ja ständig (du bist nicht gerade sehr standhaft ;)) und da muss man sich anpassen. Ich glaube, was mich stört und traurig macht, ist, dass es so ein langwieriger Prozess ist, in dem das UND langsam verblasst und nie richtig klar wird, ob es nun noch da ist und ob noch dafür gekämpft werden sollte oder nicht... Wie drei kleine Punkte am Ende eines Satzes, bei dem das letzte gesprochene Wort immer leiser wird, so macht sich das UND still und leise aus dem Staub. Aber eigentlich würde ich zumindest das UND gerne behalten. Klar wäre es einfacher, das Ganze einfach direkt anzusprechen, aber denkst du wirklich, dass ich das noch nicht gemacht hätte, liebes Leben? Du kennst mich doch. Deswegen weißt du auch, dass ich müde bin vom einseitigen Kämpfen - oder zumindest vom nicht wirklich Wahrnehmen eines Kampfes auf der anderen Seite...
Jedenfalls hoffe ich, dass mir über all das zu schreiben dabei hilft, aus der Karamellwelle von Melancholie zu entkommen. Und vielleicht bringt es ja auch das ein oder andere UND wieder in Gang...

♥ Regenschirmtier 

PS: Wenn du dich angesprochen fühlst: Ich vermisse dich und möchte unser UND gerne behalten. Ich meine diesen Post NICHT als Vorwurf, ich bin nur ziemlich traurig darüber, wie wir unser UND behandeln. Bitte schreib mir einfach...

Mittwoch, 11. Juli 2018

Teil von etwas Großartigem

Wenn man an einem Samstagabend gegen 23 Uhr allein in seiner Wohnung steht, wo alles so ist wie immer, und anfängt zu weinen, weiß man, dass man Teil von etwas Großartigem war. So ging es mir vor ein paar Tagen und mal wieder ist es schwer, sich dem zu entziehen und wieder im Jetzt und Hier anzukommen. Da denkt man, dass man nach der 15. Siwo vielleicht doch langsam heraus haben sollte, wie man ein Siwoloch umgeht oder zumindest nur für kurze Zeit ausleuchtet und dann den Weg in die Realität zurück findet, aber nein, unverhofft bleibt man darin stecken und watet darin herum wie in flüssigem Karamell. Für mich bedeutet das einerseits noch nicht wieder richtig bei dem zu sein, was ich im Leben so tue (zum Beispiel... arbeiten), und andererseits die Erinnerungen noch so nah an der Oberfläche mit mir herum zu tragen und den lieben langen Tag lang Melodien und ganze Lieder vor mich hin zu summen bzw. zu singen. Es bedeutet auch, manchmal plötzlich in Tränen auszubrechen. Doch wie ich heute liebevoll erinnert wurde, weist dieses unendlich starke Gefühl des Vermissens darauf hin, wie sehr ich das liebe, was da vonstatten ging. Wie wundervoll es ist, all das lieben zu dürfen!
Ich denke an diese zauberschöne Wasserburg, wo ich in meinem Leben bisher elf Wochen verbracht habe. Von meinen bisher gelebten 1469 Wochen sind das eigentlich ganz schön wenige und trotzdem fühlt sich dieser Ort, dieses wundergute Fleckchen Erde so an wie zuhause. Vor allem gefüllt mit all den Menschen, die Jahr für Jahr wechseln und dennoch die Siwo ausmachen. Das Schönste ist eigentlich mitten am Tag auf dem Burghof zu stehen und aus jeder Richtung Musik zu hören. Dazu mischen sich Lachen, Stimmen, die Texte lernen, Nähmaschinengeratter, Akkuschraubergeräusche und all die anderen Klänge von Dingen und Taten, die im Endeffekt dazu führen, dass wir am Ende der Woche ein Musical aufführen können. Es ist so unfassbar wertvoll, die Kinder und Jugendlichen jedes Jahr aufs neue in ihrer Gruppendynamik erleben zu dürfen, sehen zu dürfen, wie großherzig sie miteinander umgehen, über all ihre Talente staunen zu dürfen und sie während des Wachsens ein wenig kitzeln zu dürfen. Mitzubekommen, wie sehr sie durch die Siwo geprägt werden, macht all das umso kostbarer. In unserer Welt geschehen so viele schlimme und angsteinflößende Dinge, aber an so einem Ort in solch einer Umgebung nehmen wir alle einen großen Haufen an Positivität, Liebe, Güte und Empathie mit, der uns hoffentlich gut durchs Leben leitet. Ich fühle mich unglaublich geehrt und erfüllt, auch weiterhin Teil von etwas zu sein, das mir so unendlich viel Kraft gegeben hat und immer wieder gibt. Dass Musik Menschen zusammenbringt und im sozialen Gefüge stärkt, kann ja nun wirklich niemand leugnen. Und dennoch ist und bleibt der Zauber der Siwo für mich etwas besonderes. Schade nur, dass es so nicht funktionieren würde, wäre immer Siwo. Frei nach Oscar Wilde: "Manche Dinge sind kostbarer, weil sie nicht lange dauern."
Ich bin Teil von etwas Großartigem, das so kostbar ist, dass es mich immer wieder zum Weinen bringt. Doch das ist nicht schlimm, denn das bedeutet, dass ich liebe und geliebt werde. Danke.

♥ Regenschirmtier

Mittwoch, 20. Juni 2018

Ich bin Anna

Als ich heute im schönsten Sonnenschein auf meinem Fahrrad nach Hause fuhr, war ich in Gedanken mitten im Ozean, es war mitten in der Nacht und ich war Moana - oder wie die meisten sie vermutlich kennen: Vaiana - und sang aus voller Kehle. So eine Privatparty ist und bleibt einfach etwas Großartiges! Leider sang ich nicht in Wirklichkeit, weil das ja beim Fahrradfahren dann doch nicht immer so schön klingt (I am *schnauf* Moanaaaaa *hechelhechel* :'D), aber ich steckte vom Fuß bis zu meinen Haarspitzen in diesem Moment drin. Ich fuhr also so vor mich hin und plötzlich traten mir die Tränen in die Augen. Das ist nichts Neues für mich, denn bei diesem Lied passiert das jedes Mal. Damit meine ich wirklich jedes einzige Mal. Und ich habe diesen Song seit er am 02.01.2017 das erste Mal meine Ohren und mein Herz berühren durfte mittlerweile bestimmt schon 9135173204 Millionen Mal angehört. Ich liebe ihn so sehr, ich liebe diesen Film so unglaublich doll und ich könnte nicht sagen, was meine Lieblingsstelle ist, aber dieses Lied kriegt mich immer wieder.
Während ich also weinend durch den Sonnenschein fuhr, fing mein Gehirn an zu rattern und überlegte ganz pragmatisch "Warum heulst du eigentlich JEDES MAL, wenn du dieses Stück hörst?" Zu einer Antwort, die vielleicht auch nicht die ganze Antwort ist, kam ich erst, als ich das Lied auf dem Weg zu meinen Eltern später noch einmal hörte. Gleiche Reaktion, aber plötzlich pingte ein Licht über meinem Kopf auf. Denn die Zeilen "I am everything I've learned and more" und "I will carry you here in my heart, you'll remind me that come what may I know the way! I am Moana!" sind die, die mich am meisten treffen und ansprechen, die mich beinahe in einem Salzwassersee ertrinken lassen. An dieser Stelle begreift Moana, dass ihr Wunsch das Meer zu bereisen mit ihrer Liebe zu ihrem Volk zusammenhängt, dass sich die beiden nicht abweisen und ausschließen, sondern zusammengehören. Es ist ein Identitätsfindungssong (Welch ein schönes Wort für Galgenraten!) und die Feststellung, dass ich alles bin, was ich bereits gelernt habe und mehr, berührt mich zutiefst und gibt mir Hoffnung für und Freude auf die Zukunft und macht mich neugierig zu erfahren, was noch kommt, was ich noch lernen darf, wen ich noch kennenlerne, was noch alles passiert. Und gleichzeitig trage ich in mir all das, was ich schon gelernt habe, all die Menschen, die mich begleiten und begleitet haben (die vielleicht auch schon von uns gegangen sind) und die dazu beigetragen haben, dass ich bin, wer ich bin. Dass ich sagen kann: Ich bin Anna! Und beinahe mit am wichtigsten: Alles, was mir von Menschen in meinem Leben gegeben wurde, jede Berührung, jede Weisheit, jede positive und negative Erfahrung, trägt dazu bei, dass ich meinen Weg finden werde, egal was kommt. Dieses Stück Musik und Text macht mich so direkt darauf aufmerksam, wie glücklich ich gerade bin, wie großartig mein Leben ist! Ich habe in vielen Dingen meinen Weg bereits gefunden, auch wenn ich zeitweise durch wildbewachsene Wiesen waten musste. Ich mache meinen eigenen Trampelpfad und auch wenn es Tage gibt, an denen ich extrem an mir zweifle, weiß ich doch: Come what may I know the way.
Forward.


♥ Regenschirmtier